Es ist zu erwarten, dass die Marktturbulenzen anhalten werden, da die Zölle noch geändert und weiter verhandelt werden müssen, bevor sie ihre endgültige Form annehmen. Angesichts der sich rapide verschlechternden globalen Wirtschaftsaussichten und des schwindenden Vertrauens der Unternehmen in Europa hat die EZB gute Gründe, ihren Leitzins auf der nächsten Sitzung zu senken.
Wir gehen davon aus, dass die EZB eine akkommodierende Haltung einnehmen wird, nachdem sie sich auf der letzten Sitzung im März eher zurückhaltend gezeigt hat. Noch vor wenigen Wochen sah sich der EZB-Rat mit den Bedenken der Märkte über Europas „fiskalische Bazooka“ konfrontiert, die durch steigende Verteidigungshaushalte und eine Änderung des traditionell konservativen finanzpolitischen Kurses Deutschlands ausgelöst wurde. Seitdem hat sich der Fokus auf einen eskalierenden Handelskrieg verlagert, der sich auf globaler Ebene in nie dagewesener Weise entfaltet. Obwohl die Markterwartungen für den Zinspfad der EZB in den letzten Tagen geschwankt haben, hat die EZB vermutlich genügend Gründe, die Zinsen auf ihrer Sitzung am 17. April zu senken:
Wesentliche negative Auswirkungen auf die Wirtschaftsaussichten sind bereits zu erkennen. Die EZB muss nicht auf aktualisierte BIP-Prognosen warten, um die Verschlechterung der Wirtschaftsaktivitäten zu erkennen. Die von der US-Regierung angekündigten Zölle waren deutlich aggressiver als erwartet und überraschten die Märkte. Obwohl einige Maßnahmen später zurückgenommen oder verschoben wurden, hat sich die Unsicherheit bereits auf die Stimmung der Anleger und Unternehmen ausgewirkt. Dieser Vertrauensverlust hat zu aufgeschobenen Investitionen und geringeren Ausgaben geführt, die die Wirtschaftstätigkeit dämpfen und das BIP-Wachstum weiter zu bremsen drohen. Selbst wenn die endgültigen Zölle milder ausfallen als derzeit skizziert, oder wenn die EU eine Einigung erzielt, um Strafmaßnahmen zu vermeiden, ist der Schaden durch die Ungewissheit also bereits angerichtet worden. Der unberechenbare Kommunikationsstil der US-Regierung deutet darauf hin, dass diese Unsicherheit anhalten und einen langen Schatten auf die wirtschaftlichen Aussichten Europas werfen wird.
Die Aufwertung des Euro könnte den Exportrückgang noch verstärken. Im derzeitigen makroökonomischen Umfeld wird die EZB wahrscheinlich einen schwächeren Euro bevorzugen. Auch wenn die Währungssteuerung nicht zum Mandat der EZB gehört – was sie in ihrer Kommunikation immer wieder betont -, bleiben die Wechselkurse einer der wichtigsten Faktoren bei den politischen Überlegungen. Die jüngsten ungewöhnlichen Bewegungen auf dem Devisenmarkt haben die verstärkte Nachfrage nach dem Euro deutlich gemacht und seine Aufwertung gegenüber anderen wichtigen Währungen vorangetrieben. Der US-Dollar, der in der Regel als sicherer Hafen gilt, hat sich angesichts einer Reihe von Bedenken, die von der Anfechtung des Reservestatus bis zur langfristigen Tragfähigkeit der US-Finanzpolitik reichen, unterdurchschnittlich entwickelt. Infolgedessen hat sich der Euro wieder zu einer bevorzugten Safe-Haven-Währung entwickelt. Diese Verschiebung verringert zwar die Inflationsrisiken, stellt aber die exportorientierten europäischen Volkswirtschaften, insbesondere Deutschland, vor Herausforderungen. Da Zölle die Kosten für europäische Waren im Ausland erhöhen könnten, könnte ein stärkerer Euro die Wettbewerbsfähigkeit der Exporte weiter verschlechtern und die Industrieproduktion weiter schwächen.
Vorausschauende Orientierung ist in unsicheren Zeiten unerlässlich. In Zeiten erhöhter Volatilität sind klare und proaktive Prognosen von entscheidender Bedeutung. Während einige EZB-Mitglieder es offenbar vorziehen, mit Zinssenkungen zu warten, um Flexibilität zu bewahren, glauben wir, dass ein Zögern das Vertrauen der Unternehmen untergraben und den Abschwung vertiefen könnte. Eine Verzögerung der geldpolitischen Maßnahmen birgt die Gefahr, dass Investitionsentscheidungen weiter aufgeschoben und die Dynamik des Arbeitsmarktes geschwächt werden. Im derzeitigen Umfeld erhöhter Marktvolatilität könnte ein Mangel an akkommodierender Stimmung seitens der Zentralbank ein falsches Signal aussenden und die europäischen Zinssätze möglicherweise in die Höhe treiben. Dies wäre kontraproduktiv in einer Zeit, in der Unternehmen und staatliche Kreditnehmer bereits mit einem wachsenden Finanzierungsdruck konfrontiert sind.
Was wäre wenn?
Die Anleger haben festgestellt, dass es im EZB-Rat keinen vollständigen Konsens über die nächste Zinssenkung gibt. Eine der geäußerten Befürchtungen ist das Risiko, dass die Zölle einen Inflationsanstieg auslösen könnten, wodurch die EZB die verfrühte Lockerung möglicherweise bereuen würde. Obwohl dies eine berechtigte Überlegung ist, ist davon auszugehen, dass die EZB die Karten auf den Tisch legen und auf die Signale reagieren muss, die sich in den Wirtschaftsaussichten bereits abzeichnen.
Die Inflation befindet sich derzeit auf einem Abwärtstrend, und mehrere Faktoren deuten darauf hin, dass sich dieser Trend fortsetzen wird. Die Energiepreise sind in den letzten Monaten stetig gesunken, und das Lohnwachstum in Europa hat sich verlangsamt. Die unmittelbaren Auswirkungen der neu angekündigten Zölle haben die Unternehmen veranlasst, Investitionsentscheidungen aufzuschieben, was das Risiko für die Widerstandsfähigkeit des Arbeitsmarktes erhöht. Jeder Rückgang des Verbrauchervertrauens wird wahrscheinlich zu vorsichtigeren Ausgaben führen und die Fähigkeit der Unternehmen verringern, potenzielle Preissteigerungen weiterzugeben.
Ein zusätzliches Risiko ist ein Anstieg der Importe aus anderen Regionen – insbesondere aus China -, der die Preise weiter unter Druck setzen könnte, insbesondere in Sektoren wie Elektronik und Automobile. In diesem Zusammenhang rechtfertigt das Gleichgewicht der Risiken selbst bei erhöhter Unsicherheit und Volatilität einen proaktiven Ansatz. Die EZB sollte nicht zögern, die Zinsen in dieser Woche zu senken, um die Finanzstabilität im Rahmen ihres offiziellen Mandats zu erhalten.
Kommentar von: Irina Kurochkina, Portfoliomanagerin Fixed Income bei Aegon Asset Management: